Wir führen unsere Reihe
„Kevin Kurz im Spiegel seiner Welt“ fort. Im Gespräch mit Harry Hecktich diesmal
Frau Ursula Kinderschreck. Groß, mit grauem Haardutt und strahlendem Lächeln
kam sie auf uns zu. Beeindruckend, wie sie da aus diesem selbstgestrickten,
kugeligen Kindergarten trat, einen lachenden Blick in die Runde warf, einem der
kleinen Racker übers Haar strich und uns mit den Worten begrüßte: „Na, die
Weltpresse zu Gast im Nabel des Universums? Herzlich willkommen!“ Frau
Kinderschreck ist die zuständige Kindergartentante im
Schubs-freien-Kindergarten Buntes-Leben e.V. Nach vielen Jahrzehnten in
katholischen Kindergärten ging sie spontan das Wagnis ein, Kevins
Kindergarten-Tante zu werden und hat es bis heute nicht bereut. Ihr
Aufgabengebiet umfasst gute Laune, In-den-Arm-nehmen und plaudern mit dem Chef,
wie sie uns erzählte.
Redaktion: Frau Kinderschreck,
verzeihen Sie uns die Frage, aber… mit diesem Namen?
Ursula Kinderschreck:
(lacht) Wie Kevin immer sagt: „Kann keiner was für seinen Namen. Musst du dann
mit leben!“
Redaktion: Erzählen Sie doch mal,
wie kam es dazu, dass Sie in ihrem hohen Alter, wenn ich das so sagen darf,
nochmal den Arbeitgeber gewechselt haben?
Ursula Kinderschreck:
Liebe auf den ersten Blick! Als ich Kevin kennenlernte, wir liefen gleich
plaudernd durch die Maarauen, das war –
wie sagt er immer – wie strick und Nadel. Oder eben Topf und Deckel. Das war
gleich eine Wellenlänge. Und als er mich dann gefragt hat, ob ich die Stelle
als Kindergarten-Tante übernehmen möchte habe ich spontan zugesagt. Und werde
es nie bereuen. Redaktion: Was hat Sie
denn an ihrer neuen Anstellung besonders gereizt?
Ursula Kinderschreck:
Kevins Konzept. Ein Kindergarten basierend auf drei Säulen. Zum einen sein Verständnis
des kontruktivistischen Lebens & Lernens.
Nach dem Prinzip: Einfach lassen. Macht eh jeder am besten, wie er will. Dass
jedes Kind am ehesten lernt, wenn es sich sein Wissen selber lernend und
lehrend konstruiert. Ein Beispiel: Der Schnarchi. Der ist nie auf die Idee
gekommen, irgendwas zu lernen. In seinem Elite-Förder-Kindergarten. Bevor der
zu uns kam. Und Kevin hat ihn dann einfach gelassen – auf seiner faulen Haut.
Und eines Tages hat er ihn gefragt, ob er nicht einmal für die anderen Kinder
so eine Geschichte der Faulheit schreiben will. So wo die herkommt, wie man
eine faule Haut pflegt. Große Vorbilder und so.
Da
war der Schnarchi plötzlich ganz begeistert. Hat angefangen, zu recherchieren.
Und als er keinen mehr gefunden hat, der ihm vorliest, hat er sich halt von der
Jacqueline lesen beibringen lassen. Und dann schreiben gelernt, weil er all
das Wissen nicht mehr einfach so behalten konnte. Ja, und dann hat er
angefangen, Standard-Werke zu lesen, z.B. „Oblomow“. Eines seiner großen
Vorbilder. Hätte sich niemand träumen lassen, dass der Schnarchi mal mit einem dicken
russischen Wälzer aus dem 19ten Jahrhundert auf seiner faulen Haut liegt. Kommt
davon, wenn du einen einfach lässt, sagt Kevin.
Jetzt
überlegt der Schnarchi sogar, russisch zu lernen. Um im Original seine
Forschungen fortzuführen. Mal sehen… neulich hat er schon gemeint, empirische
Forschung wäre eher sein Ding. (Schmunzeln)
Redaktion: Und die Zweite Säule?
Ursula Kinderschreck:
„Gewalt freie Kommunikation“ nach Marshall B. Rosenberg. Auch wenn Kevin seine
Variante des „Schubs Freien Plauderns“ nach Onkel Tulpenhügel praktiziert.
Läuft aber auf das gleiche hinaus. Einfach großartig. Das Leben bewertungsfrei
zu betrachten, die Bedürfnisse hinter den Gefühlen herausfinden und dann die
eigenen Wünsche formulieren, anstatt Forderungen zu stellen.
Redaktion: Wie soll ich mir das
vorstellen?
Ursula Kinderschreck:
Oh, ich gebe Ihnen ein Beispiel: Neulich, als der Kindergarten noch nicht
einmal in der Zeitung erwähnt wurde, bei der Burgen-Blogger-Bewerbung. Da hatte
der Motzi einen richtigen Wutanfall.
Hat
der losgewettert: „Alles
Eierköpfe. Denen sollte man mal ordentlich auf die Fresse geben. Kackverein,
die Jury. Keine Ahnung von nichts, aber die Kleinen mal wieder rausschmeißen.
War ja klar, wir hatten nie ´ne Chance. Immer nur die Großen. Der kleine Mann
kommt bei denen eh nicht zu Wort. Haben die Schiss, dass mal einer die Wahrheit
sagt. Fallobst, der ganze Verein. Alle weich in der Birne.“
Ja
und da hat Kevin dann erst mal Erste-Hilfe-Emphatie geleistet. Hat den Motzi
angeschaut und gesagt: „Wow, du bist aber wütend!“ „Kannste sagen!“ hat der
Motzi, schon etwas ruhiger, geantwortet. Und dann hat Kevin ganz ruhig
beschrieben, was er gehört hat: „Du unterstellst der Jury, dass sie keine
Ahnung hat, weil wir nicht erwähnt werden. (Nicken Motzi) Und dass die Angst vor
unserer Wahrheit hat. Vor dem, was wir kleinen Leute zu sagen haben. – Und das
macht dich stink wütend.“ Ja, und dann ist Kevin den Gefühlen vom Motzi
gefolgt, der Wut. Und dann haben die beiden herausgefunden, dass dahinter ganz
viel Traurigkeit liegt, weil der Motzi so gerne mal auf einer Burg gelebt
hätte. Und jetzt fürchterlich enttäuscht ist. Und dass er eben das Bedürfnis
hat, auch mal wichtig zu sein. Dass die Leute da draußen auch mal sehen und
anerkennen, dass der Kindergarten was Wichtiges zu sagen hat.
Und
als all die Trauer zu Tage trat, da konnte der Motzi endlich weinen. Gab´s am
Ende ein großes Bärenknuddeln. Und dem Motzi ging es schon viel besser.
Und
dann konnte er zulassen, dass die Jury vielleicht gar nicht verstanden hat,
worum es dem Kindergarten geht. Oder dass sie die Bewerbung einfach nicht ernst
genommen haben. Oder nach ganz was anderem suchen… Und dass der Motzi das gar nicht wissen kann,
ohne die Jury zu befragen. Dass alles andere pure Spekulation war.
Ja,
hat der Motzi durchgeatmet und genickt. Und gesagt: „Kann schon sein. Ist dann
schade – für DIE!“ Und hat schon wieder gegrinst. So funktioniert das mit dem
Schubs-freien-Plaudern.
Redaktion: Beeindruckend. Und eigentlich
so einfach.
Ursula Kinderschreck:
Ja, und so wirkungsvoll. Schade, dass es so wenig Kindergärten gibt, die diesen
Weg gehen.
Redaktion: Und die dritte Säule?
Ursula Kinderschreck:
Ja, sagt der Kevin, auf zwei Beinen kannst du schlecht stehen. Besonders bei
guter heißer Schokolade nicht. (Lacht)
Die
dritte, das ist das große Lachen. Über dich selbst und mit der Tante Buntes
Leben, sagt Kevin oft. Einfach mal lachen, fünfe gerade sein lassen. – Deswegen
ist es dem Kevin ja auch so wichtig, bis fünf zählen zu können. – Das Leben
lieben, so wie es ist.
Das
bedeutet nicht, dass es bei uns keine Tränen gibt. Oder nicht auch mal ernst
zugeht. Aber Lachen. Das eigene Leben nicht zu ernst nehmen. Immer wieder mit
einem Schmunzeln aufstehen, wenn du fällst. Das ist uns beiden sehr wichtig.
Redaktion: Ich sehe, viele
Gemeinsamkeiten. Gibt es denn noch mehr?
Ursula Kinderschreck:
Ja, wir stricken beide gerne. Ich mit Wolle und er mit Wirklichkeiten. Wie hat
die Jacqueline neulich gesagt: „Deine Strickerei wärmt die Füße, Tante Ursula, Kevins
das Herz. Beides Wichtig!“
Redaktion: Frau Kinderschreck,
herzlichen Dank für das Gespräch.
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